Gedanken über Tango-Unterricht | 22. Teil
Teil 22) Nett oder ehrlich – oder beides?
Als Tango-Unterrichtender ist man manchmal etwas ernüchtert, wenn es um die Selbstreflexion der Schüler geht. Viele Tänzer haben nur ein sehr vages Bild davon, wo sie stehen, was klappt, was nicht. Und dann kommt das Problem: Kritik.
Manchmal stehe ich da und denke: Na gut, wie ehrlich darf ich jetzt eigentlich sein? Sage ich „passt schon, wird schon besser“, dann nicken die Leute zufrieden, gehen heim – und sind eigentlich keinen Schritt weiter. Sage ich dagegen „das funktioniert überhaupt nicht“, dann schaut mich jemand an, als wäre gerade der ganze Tangohimmel über ihm zusammengebrochen. Das eine ist nett, das andere ehrlich. Beides hat Tücken.
Antworten auf „Ästhetisches Empfinden und Tanztechnik“
> [Vorwärts-Ochos] „technischer Aufwand“ / „Er braucht zu viel Zeit, zu viel Training, um elegant zu wirken“
Sehe ich völlig anders. Wenn man die Dissoziation mal weglässt, ist es ein Schritt diagonal-vorwärts mit einer Vierteldrehung. Dafür braucht man kein Ballett, das ist eine ganz einfache Bewegung, die normalerweise schon Kinder können. Bis sie „elegant“ sind, dauert es natürlich wie immer etwas länger. Das Drehen auf einem Bein finde ich auch viel einfacher als die relativ großen gekreuzten Schritte in dem Video. Außerdem sind Vorwärts-Ochos ja auch viel einfacher als Rückwärts-Ochos.
Ich schreibe ja auch: „…Weil er im modernen, pivot-orientierten Ansatz einen technischen Aufwand verlangt, der im Gesellschaftstanz gar keinen Platz haben dürfte.“ und „Ursprünglich war der Ocho jedoch etwas ganz anderes:
ein spontaner Richtungswechsel aus einer vorwärts-kreuzenden Position. Wenn die Tänzerin in einem zufälligen Vorwärtskreuzschritt die Richtung um den Partner herum ändern musste, ergab sich der notwendige Pivot von selbst. Kein starres Techniktraining, sondern eine Bewegung, die passierte.“ , das letztere entspricht der Version, wie Du sie beschreibst. Aber, ob der Ocho vorwärts leichter ist als der Ocho Rückwärts, darüber kann man streiten. Ich brauche für beide im Unterricht nicht sehr lange, „kommt also drauf an, wie man ihn vermittelt„. Und das Drehen auf einem Bein findest Du einfacher als „als die relativ großen gekreuzten Schritte in dem Video“? Welches Video meinst Du denn, das von Noelia Hurtado & Carlos Espinoza? Dann empfinde ich das allerdings ganz anders, weil der Ocho vorwärts so entstanden ist, wie Noelia ihn tanzt.
Hallo Klaus, danke für diesen wirklich sehr guten Artikel zu diesem Thema.
Und tatsächlich hab ich mich schon häufiger gefragt; wenn Chicho auf einer Berliner Milonga unerkannt wäre, ob er überhaupt eine gute Tänzerin finden würde, die mit ihm tanzen würde.
Grüße Leo
Ich gehe mal davon aus, daß das ein Negativstatement über die Berliner Milongas ist. Andersherum wäre es doch ein wenig absurd.
Da gehe ich auch von aus. Aber ich denke, dass er in dem Moment als Tanzpartner begehrt würde, wenn er sich tänzerisch zu erkennen gäbe, denn er hat auch auf einer normalen Tango-Piste eine außergewöhnliche Wirkung und Präsenz.
Das Buch „Der Klang meiner Erde“ von Nicole Nau und Luis Pereyra ist bereits seit Juni im Handel erhältlich und m.E. lesenswert!
Hallo Michael,
Danke für den Tip, aber der Begriff „lesenswert“ ist immer auch sehr subkjektiv. Ich werde es aber auf jeden Fall lesen, allein schon, weil ich hier ja bereits eine vorläufige Kritik losgeworden bin, die ich auch untermauern muss.
Mit freundlichen Grüßen
Klaus Wendel