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Gedanken über Tango Unterricht | 10. Teil  | a)

Gedanken über Tango Unterricht | 10. Teil  | a)

a) Die musikalische Struktur des Tangos

Was sind Takte, Rhythmen, das Metrum, Taktschläge usw. ?

Willkommen zum 10. Teil meiner Reihe „Gedanken über Tango-Unterricht“. Weil das Thema diesmal ziemlich umfangreich ist, habe ich beschlossen, es in drei Teile aufzuteilen.

In diesem ersten Teil (10a) geht’s um drei Dinge:

  • Welche Bewegungsarten und Ausdrucksmöglichkeiten wir im Tanz – speziell im Tango – eigentlich haben.  Ich versuche das mal klar und verständlich auf den Punkt zu bringen. Denn da gibt’s oft viel Verwirrung, was Tango überhaupt ausmacht.
  • Welche musikalischen Begriffe und Strukturen beim Tanzen relevant sind – und warum da im Unterricht oft alles durcheinandergerät.
  • Warum es im Tango gar nicht so einfach ist, eine gute, spontane Musikalitäts-Interpretation zu vermitteln.
 

Für viele von euch, die sich schon intensiv mit Musikalität im Tango beschäftigen, wird hier vielleicht nicht viel Neues dabei sein – aber wartet mal den zweiten Teil ab!

(Falls euch Fehler oder Missverständnisse auffallen: Ich freue mich sehr über Hinweise und Korrekturen!)

Musikinterpretation im Tanz – und speziell im Tango

Wenn es um die Frage geht, wie man Musik beim Tanzen eigentlich ausdrückt, gehen die Meinungen ganz schön auseinander. Die einen denken dabei an das bewusste Umsetzen der Musik in sichtbare Bewegungen – also dass man die Klänge quasi auch körperlich spüren und sehen kann. Andere dagegen tanzen einfach die gelernten Schritte runter, während im Hintergrund halt Musik läuft. Klingt hart, aber das sieht man tatsächlich oft – besonders in Neo- oder Non-Tango-Kreisen, zum Beispiel bei Musik von Piazzolla (okay, jetzt gibt’s wahrscheinlich Tomaten, aber ehrlich ist ehrlich!).

Es gibt eben ganz unterschiedliche Arten, Musik tänzerisch, bzw. bewegungstechnisch auszudrücken. Im Ballett zum Beispiel arbeitet der ganze Körper – da werden Melodie, Rhythmus und Stimmung mit fließenden Bewegungen übersetzt. Beim Irish Dance wiederum passiert alles unterhalb der Hüfte: Die Füße tanzen hochkomplexe Rhythmen, während der Oberkörper fast stocksteif bleibt und die Arme eng am Körper anliegen.

Und im traditionellen Tango? Entweder man setzt fließende, unbetonte Musikphrasen mit weichen, raumgreifenden Bewegungen um (was auf einer vollen Milonga aber kaum klappt), oder man betont die Taktschläge mit ganz gezielten Schritten – hauptsächlich über das Aufsetzen der Füße, also meisten aufrecht gehend. Durch Tango-Bewegungen wie Boleos, Ganchos, Lapiz usw. Im Show-Tango zusätzlich durch Hebefiguren wie im Ballet und Sprünge. Viel mehr geht da auch nicht, weil durch die enge Umarmung die Arme ja quasi „außer Betrieb“ sind. Im Neo-Tango kommt dann noch was dazu: Da tanzen die Partner manchmal zeitlich versetzt, machen Solodrehungen (Soltadas) – das bringt mehr Spielraum für Interpretation. 

Aber in einer Ronda einer Milonga aus Platzgründen nur gegangene Schritte, und Bewegungen, bei denen die Füße möglichst am Boden bleiben, um keine anderen Paare zu verletzen. 

Bei Tango-Wettbewerben wird darauf Wert gelegt, dass der Gesamt-Charakter der jeweiligen Musik deutlich sichtbar ist, also z.B. bei DiSarli werden ‚rebotes‘, also sinnlose Verdopplungen, mit Punktabzügen be…!

(Ich sage das jetzt nicht, aber sie werden garantiert „nicht belohnt“!)

Musikalitäts-Unterricht – besonders schwierig, wenn’s um Rhythmus geht

Sobald es im Tango-Unterricht darum geht, Rhythmus zu vermitteln, wird’s echt knifflig. Denn Musikalität beim improvisierten Tango – also dieses spontane Umsetzen der Musik in Bewegung – funktioniert nur, wenn ein paar Voraussetzungen erfüllt sind.

Erstens: Die Musik muss dem Ohr ein kleines Zeitfenster lassen, damit man überhaupt auf das reagieren kann, was man gerade hört. Heißt: Die Musik sollte einigermaßen „voraushörbar“ sein – selbst wenn man das Stück noch nie vorher gehört hat.
Zweitens: Die Musik sollte möglichst viele, gut unterscheidbare Klänge bieten, die auch weniger erfahrene Tänzer:innen aufnehmen und in Bewegung umsetzen können – und das, ohne gleich den Grundschlag aus dem Takt zu bringen.

Im Tango-Unterricht machen wir ja keinen Musikunterricht wie in der Schule – Notenlesen oder Musiktheorie ist nur dann interessant, wenn’s dem Tanzen hilft. Für uns zählt vor allem das Timing – also wann was passiert – und das Zusammenspiel von Rhythmus und Melodie. Im Tango ist das besonders spannend, weil je nach Stück mal dieses, mal jenes Instrument den Ton angibt, im wahrsten Sinne des Wortes.

Und genau deshalb nehmen Menschen dieselbe Musik beim Tanzen oft ganz unterschiedlich wahr: Manche hören vor allem die Rhythmik eines bestimmten Instruments – manchmal sogar innerhalb eines Paars unterschiedlich! Andere orientieren sich nur am Grundschlag, und Anfänger sind oft erstmal total überfordert, weil da so viele Klangschichten gleichzeitig auf sie einprasseln.

Deshalb ist es wichtig, schon ganz am Anfang auf die Klangstruktur hinzuweisen, die gerade für das jeweilige Tanzelement entscheidend ist.

Doch was ist Rhythmus eigentlich? Gute Frage, denn der wird oft mit dem Taktschlag verwechsel: 

Der Rhythmus entspricht bei den meisten Tangos der vordergründigen Melodie.

In der Musiklehre bezeichnet Melodie eine Folge von Tönen, die sich in einer bestimmten Rhythmik und Tonhöhe aneinanderreihen – so, dass sie vom Ohr als zusammenhängend und „singbar“ wahrgenommen wird.

Kurz gesagt: Die Melodie ist das, was man mitsummen oder pfeifen kann – also die erkennbare „Hauptlinie“ eines Musikstücks, die oft im Vordergrund steht und im Kopf hängen bleibt. Sie bewegt sich meist in einem klaren Spannungsbogen, hat Anfang, Höhepunkt und Ende – wie ein musikalischer Satz.

Im Tango wird die Melodie oft von der Geige oder dem Bandoneón getragen – und Tänzer:innen können sie durch weiche, fließende Bewegungen im Tanz interpretieren. 

Allgemein ist es eine große Hilfe die jeweilig wahrgenommene Melodie beim Tanzen im Kopf mitzuatmen, so ergibt sich auch oft der passende Rhythmus. 

Weil Tango-Melodien oft so eingängig erscheinen, sind Tangos auch rhythmisch so gut voraushörbar. 

Musikalität für Anfänger und Fortgeschrittene

Im Grundschlag Tango zu tanzen klingt erstmal einfach, ist es für Anfänger aber oft gar nicht – das nennt sich im Video übrigens „Beat“ oder „Tiempo“. Warum das schon beim bloßen Gehen oder beim Kontakt im Paar schwierig ist, habe ich in früheren Artikeln erklärt. Trotzdem: Die meisten Figuren oder kleinen Sequenzen kriegt man irgendwie noch im Grundschlag unter.

Richtig kompliziert wird’s aber, sobald Rhythmus ins Spiel kommt. Denn dann geht’s darum, die verschiedenen rhythmischen Muster (also sogenannte Pattern) spontan, also ad hoc, in der jeweiligen Bewegungssituation umzusetzen. Und da wird’s schnell unübersichtlich: Es gibt nämlich rund 36 mögliche Kombinationen – und wenn man die dann noch in Zweierketten und mit Richtungswechseln im Paar tanzt, kommt man locker auf über 100 Varianten. Kein Wunder, dass man die nicht mal eben auswendig lernt.

Deshalb sind viele Musikalitäts-Workshops auch eher oberflächlich – da wird das Thema zwar gestreift, aber selten wirklich konkret oder praktisch gelöst. Choreografisch geht das alles schon irgendwie – also wenn man vorher weiß, was man tanzt. Aber improvisiert, spontan auf die Musik reagierend? Das ist richtig, richtig schwer.

Welche 3 Basis-Rhythmen sind für uns Tänzer wichtig? 

Hier die verbreitete Struktur der  traditionellen Tango-Musikstücke:

Joaquín Amenábar, seine Musiklehre „Zur Musik tanzen“ – und was daran so herausfordernd ist

Die ganzen Videos und Infos zum Thema Musikalität im Tango bestätigen eigentlich nur das, was Joaquín Amenábar schon seit Jahren in seinen Büchern und Workshops vermittelt: die Grundstruktur der Tangomusik. Wer mal bei einem seiner Workshops dabei war, hat schnell gemerkt, wie viel man beim Tanzen bisher nicht gehört – und vor allem nicht umgesetzt hat. Und ehrlich gesagt: Mehr als ein großes Aha-Erlebnis ist in so einem Workshop meist auch gar nicht drin.

Wenn man danach etwas frustriert rausgeht, weil man plötzlich spürt, wie viel mehr eigentlich möglich wäre – ja, dann sollte man sich wirklich mal fragen: Warum? Ich höre manchmal als Kritik: „Ich habe jetzt das Gefühl ich kann garnicht mehr tanzen, weil ich nur doch die Musik analyiere“. Na Bravo! Das ist ein super Lerneffekt. 

Denn hat wirklich jemand geglaubt, er oder sie könne die Musik einfach so, mit dem eigenen Schritt-Repertoire, spontan vertanzen? Mal abgesehen von den genial vereinfachten Beispielen von Joaquín, die er mit einfachen Wiegeschritten auf Grundschläge und Verdopplungen reduziert hat – da merkt man ziemlich schnell, dass da Welten zwischen dem eigenen Tanzen und dem liegen, was möglich wäre. Und ja – das tut im ersten Moment weh. Diese Erkenntnis zwickt. Aber: Genau das macht seinen Unterricht so großartig! Chapeau, Joaquín.

Seinen zweiten Teil kenne ich selbst noch nicht, aber ich bin sehr gespannt, was da noch kommt. Natürlich gibt’s auch andere Ansätze, um Musik im Tango zu vermitteln – aber die sind oft nicht so klar durchdacht und bleiben eher vage. Sie versuchen, das Gefühl für Musik zu wecken oder einen Spannungsbogen spürbar zu machen, aber konkrete, umsetzbare Hilfen fürs Tanzen? Eher selten.

Eigentlich müsste jeder Tango-Musikalitäts-Unterricht so starten – damit Einsteiger*innen von Anfang an die Raffinesse und Spielfreude der originalen Tangomusik erleben können. Dann kämen sie gar nicht erst auf die Idee, sich zu langweilen oder einfach nur stumpf durchs Schrittmaterial zu schlurfen. Oder sich gar tango-fremde Musik zu suchen. 

Fazit

Musikalität im Tango ist kein Extra, das man sich irgendwann später dazuholt – sie ist von Anfang an mit dabei. Wer wirklich tanzen will, muss auch wirklich hinhören. Klar, Grundschlag tanzen kann man irgendwie noch mit ein bisschen Übung, aber sobald’s rhythmisch oder gar improvisiert wird, merkt man schnell, wo’s klemmt. Und genau da fängt der spannende Teil an.

Tango-Musik ist voll von kleinen Überraschungen, Pausen, Akzenten und Stimmungswechseln – und die machen das Ganze erst lebendig. Wer nur Schritte lernt, verpasst den eigentlichen Zauber. Aber gute Musikalitätsarbeit zeigt einem, wie man mit einfachen Mitteln viel mehr aus dem Tanz rausholen kann – egal ob Anfänger oder schon länger dabei.

Und ja, manchmal tut’s ein bisschen weh, zu merken, was man alles überhört hat. Aber genau da steckt die Chance: mehr hören, besser tanzen, echter fühlen.

Und damit bin ich auch schon am Ende der Einleitung – zum zweiten Teil dieser Serie: „Die liebe Musi…“ Da geht’s dann um konkrete Lehrmethoden mit geschnittenen Rhythmus-Pattern und einer musikalischen Übungs-Matrix. Es bleibt spannend!

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