
Interview: Bruna Lavaroni & Franco Lus
Nach meinem einleitenden Artikel über Tango Wettbewerbe hatte ich ein Interview versprochen. Und jetzt befinden wir uns im Studio N in Duisburg, dem Studio von Norbert Heuser – mir gegenüber sitzen zwei besondere Gäste: Bruna Lavaroni & Franco Lus aus Italien, beide wohnen aber seit Jahren in Duisburg. Franco ist Inhaber eines Eiscafés.Vielleicht kennt sie der eine oder andere – hier in der Region sind sie auf jeden Fall keine Unbekannten.
Bruna & Franco sind ein eingespieltes Tangopaar und sind regelmäßig auf nationalen und internationalen Turnieren unterwegs.
Erst kürzlich waren sie bei der „Mundial“, der Weltmeisterschaft in Buenos Aires, dabei – und sie sind dort sehr weit gekommen.
Klaus Wendel:
ich freue mich, dass Ihr Euch zu diesem Interview bereiterklärt habt. Und hier die Standardfrage: Wann habt Ihr mit dem Tango tanzen angefangen und wo?
Franco Lus:
2012 war ich noch in Italien, in Udine. Dort begann ich mit dem Tango. Aber dann kam der Wendepunkt.
Ich kam nach Deutschland, weil mein damaliger Lehrer zu mir sagte: „Du hast Talent, aber dir fehlt noch etwas.“ Und er hatte wohl recht.
Ich bin also nach Deutschland gegangen – ich habe aber den Tango erstmal wirklich vermisst.
(Anmerkung: Franco übersetzt vieles während dieses Interviews ins Italienische, weil Bruna kein Deutsch spricht, aber schon ganz gut versteht, aber eben nicht alles. Während dessen bewundere diese schöne Sprache.)
In dieser Zeit kam auch Bruna ins Spiel. Sie hatte ein kleines Kind, das noch zur Schule ging. Deshalb konnte sie nur begrenzt reisen: eine Woche war sie bei mir, dann wieder drei Wochen in Italien. Doch einmal im Monat kam sie immer wieder zurück.
Gemeinsam haben wir dann nach einer deutschen Lehrerin gesucht – und gefunden: Myriam aus Moers. (Tango Beso, Moers) Drei Jahre lang haben wir mit ihr gearbeitet.
Wir hatten uns schon viel auf YouTube angeschaut – Tänzer, denen wir folgten, obwohl wir noch relativ neu in der Szene waren. Aber wir hatten schon unsere Vorbilder im Blick: Sebastián Arce, Mariana Montes, Ezequiel Paludi, und Geraldine Rojas.
Ich selbst komme ursprünglich aus der Welt des Fußballs und Tennissports. Ich war Wettkämpfer, jemand, der Turniere mochte – auf hohem Niveau. Als ich dann gesehen habe, dass es im Tango auch Meisterschaften gibt, dachte ich: „Okay, schauen wir uns das mal an.“
Ich habe mir also ein paar Finalvideos angesehen. Und nur ein paar Wochen später sagte ich zu Bruna: „Schatz, wenn wir jetzt ein Jahr lang richtig Gas geben und alles reinhauen, dann könnten wir es ins Finale schaffen.“
Was ich damals nicht bedacht hatte, war: Die anderen trainieren natürlich auch weiter – und wie! Im zweiten Jahr, als wir wieder teilnahmen, wurde mir klar: Das Niveau war deutlich gestiegen.
Wir haben es tatsächlich geschafft – wir sind zum ersten Mal ins Finale der Deutschen Meisterschaft in Münster gekommen. Allein schon die Teilnahme an dieser Nationale Meisterschaft war für uns ein riesiger Schritt.
K.W.:
Die zweite Austragung der Deutschen Meisterschaft in Münster, Eurem ersten Turnier, viele andere Teilnehmer haben erst in der Garderobe erfahren, dass sie bei einem Sieg nicht automatisch zur Mundial qualifiziert worden wären – und manche waren darüber richtig sauer, verständlicherweise. Ihr hattet ja auch daran teilgenommen, welchen Platz hattet Ihr dort belegt und wie habt Ihr dieses Turnier wahrgenommen?
Franco Lus:
Das war im Jahr 2016. Genau – 2015 war unser erstes wichtiges Jahr: Wir haben bei der regionalen Ausscheidung den Tango-Walzer gewonnen. Das war das Vorrunden-Turnier zum nationalen Finale. Etwa viereinhalb Monate später war dann das große Finale in Neapel – und da haben wir es ins Finale geschafft.
Ich glaube, wir wurden Sechste oder Siebte. Für uns war das ein großer Erfolg, gerade mit dem Wissen, das wir damals hatten. Heute denke ich, mit dem, was ich jetzt weiß, hätten wir vielleicht sogar noch weiter kommen können. Aber man muss sagen: Das Niveau steigt jedes Jahr – auch hier in Europa. Tänzer, die vor sieben, acht oder neun Jahren angefangen haben, sind inzwischen extrem gut geworden. Man merkt: Die Szene entwickelt sich rasant weiter.
Aber ich möchte auch erklären, warum wir überhaupt bei Meisterschaften mitmachen:
Von Anfang an war uns klar: Wenn wir bei Wettbewerben antreten, geht es uns nicht in erster Linie darum, zu gewinnen. Es geht darum, unser Tangoniveau zu verbessern – und das geht nur, wenn man sich mit anderen Tänzerinnen und Tänzern misst und sich austauscht. Denn nur in eine Milonga zu gehen, reicht es ja allemal.
Und gerade deshalb war es für uns wichtig, uns mal aus unserer „Komfortzone“ zu bewegen und uns mit anderen Tänzern zu vergleichen, die aus ganz anderen Regionen oder sogar Ländern kommen.
Nur so entsteht echter Antrieb, besser zu werden.
Es geht also nicht darum, die Besten zu sein – sondern darum, motiviert zu bleiben, sich weiterzuentwickeln. Wenn man sich international misst, muss man sich mehr anstrengen, mehr investieren – mehr Zeit, mehr Zusammenarbeit, auch als Paar. Und das ist nicht immer leicht.
K.W.:
Man braucht den Mut, sich dieser Herausforderung ehrlich zu stellen. Sich selbst zu reflektieren, sich mit anderen zu messen – nicht aus Konkurrenzdenken oder aus purer Eitelkeit, sondern aus dem Wunsch zu lernen. Genau darin liegt das eigentliche Potenzial für persönliches und tänzerisches Wachstum. Doch nur wenige sind bereit, diesen Weg wirklich zu gehen.
Meine Frage an Bruna Lavaroni:
Wenn Du im Wettbewerb tanzt, musst Du Dich doch sehr auf Franco verlassen. Ist seine Ruhe und Fokussiertheit für Dich eine Unterstützung, oder bist Du trotzdem nervös?
Bruna Lavaroni:
Während des Wettbewerbs selbst bin ich nicht nervös. Wenn ich auf der Bühne stehe, konzentriere ich mich ganz auf den Tanz – auf Franco und vor allem auf die Musik.
Die Nervosität kommt vorher, direkt in der Garderobe, wenn ich die anderen Paare sehe. Alle tanzen auf so hohem Niveau. Zum Beispiel Aldana Silvira und Diego Ortega – sie haben in den letzten drei Jahren in Folge den dritten Platz belegt. In solchen Momenten vergleicht man sich automatisch und fragt sich: „Bin ich wirklich gut genug?“ Das macht schon etwas unsicher.
Aber wenn man bedenkt, dass bei der letzten Mundial rund 650 Tänzerinnen und Tänzer teilgenommen haben, ist unsere Platzierung – Rang 40 – wirklich ein starkes Ergebnis. Nur vier Plätze weiter vorn, also auf Platz 36, und wir wären im Finale gewesen.
Dabei war die Vorbereitung alles andere als ideal. In der Nacht vor dem Auftritt wurde ich krank – so richtig. Ich musste sogar ins Krankenhaus. Von dort aus ging es dann fast direkt auf die Tanzfläche – ohne mentale Vorbereitung, ohne innere Ruhe. Und trotzdem haben wir dieses Ergebnis erreicht. Das zeigt mir, wozu wir in der Lage sind – selbst unter extremen Bedingungen.

K.W.:
Franco, für mich wirkt es schwierig, sich auf so einer Bühne, mit oder gegen welt-beste Tanzpaaren und der Jury im Rücken, voll auf denTanz zu konzentrieren, ohne sich zwischendurch von äußeren Gegebenheit beeinflussen zu lassen. Du wirkst immer sehr konzentriert und sehr ruhig, aber nie blickheischend oder effekthaschend. Wie schaffst Du das angesichts dieses Drucks?
Franco Lus:
So banal es sich auch anhört: Ich setze nur meine Brille ab, dann sehe ich das alles nicht. (Wir lachen alle herzlich.) Aber mal im Ernst, es hilft mir außerordentlich, weil ich die Jury nicht erkenne, keine Mitstreiter – ich weiß oft nicht, welches Paar neben uns steht. Aber es hat ja – wie gesagt einen Riesenvorteil. Aber sonst ich interessiere mir gar nicht für die Außenwelt. Also bis zum Ende, bis ich mich wieder umkleide, sehe ich nicht viel – bin also bis dahin in meinem „Wölkchen“.
K.W.:
Bedeutet das, dass man sich als Turniertänzer matte Kontaktlinsen einsetzen oder eine matte Brille sollte?
Franco Lus:
(Franco grinst) Wäre vielleicht sehr hilfreich, wenn ich es genauer betrachte. Aber mal zurück zum tänzerischen Fokus:
Wenn ich tanze, höre ich innerlich oft die Stimmen meiner Lehrer: „Hier bist du zu schnell, da musst du langsamer werden, achte auf die Betonung in diesem Moment.“ Das läuft wie ein innerer Ablaufplan in mir mit.
Aber was um mich herum passiert – ob da jemand vor, hinter oder neben mir tanzt, ob der Saal voll ist oder nicht – das interessiert mich in dem Moment kaum. Entscheidend ist die Musik.
Nehmen wir ein klassisches Tango-Orchester, zum Beispiel ein Orchester mit Alfredo De Angelis oder Osvaldo Pugliese: Jede Melodie, jeder Rhythmus ist dort auf eine bestimmte Weise gestaltet. Und genau diese musikalische Struktur zwingt uns Tänzer geradezu dazu, musikalisch zu denken – nicht nur technisch zu tanzen.
Das heißt: Wir orientieren uns an der Grundidee des Orchesters – an der Dynamik, an den Spannungsbögen, an der Energie. Wir haben Coaches, die uns regelmäßig beobachten, auch per Zoom, und sie helfen uns, unseren persönlichen Stil auf die jeweilige Musik zu übertragen.
Dabei geben sie uns konkrete Vorschläge, wie man bestimmte Stellen interpretieren kann – aber am Ende ist es unsere Entscheidung, was wir annehmen oder nicht. Manchmal ist es so, als würden wir mit dem Sänger zusammen tanzen.
Manche Lehrer betonen den Rhythmus über alles: „Geh mit dem Rhythmus, verlass ihn nie!“ Aber gerade im Tango ist das nicht immer so einfach. Viele Gesangslinien weichen von den rhythmischen Phrasen ab – sie sind komplex, emotional, nicht immer gleich aufgebaut.
Und genau da liegt die Herausforderung: Man muss die Musik wirklich verstehen. Immer und immer wieder hören. Täglich.
Vor einem Wettbewerb hören wir bestimmte Titel stundenlang, wieder und wieder. Nicht nur, um sie auswendig zu kennen, sondern um sie fühlen zu lernen. Nur so kann man sie wirklich tanzen.
Wir versuchen auch bewusst in kleineren Räumen zu trainieren, um bestimmte Situationen realistisch umzusetzen. In unserem Studio haben wir zwar viel Platz – so wie hier –, aber bei Meisterschaften ist das oft ganz anders: Da tanzt ein Paar direkt vor uns, eins hinter uns, manchmal sehr nah.
In solchen Momenten darf man nicht ins Stocken geraten. Wir müssen immer im Fluss bleiben – beweglich, spontan, reaktionsfähig. Wenn mal etwas nicht wie geplant läuft, ist das kein Drama – aber man muss Alternativen parat haben.
Plan A, B, C, D – all das kann innerhalb weniger Sekunden gefragt sein. Und deshalb trainieren wir genau das: flexibel zu sein, schnell reagieren zu können und trotzdem die musikalische Linie nicht zu verlieren.
Wir bauen dafür kleine Sequenzen, Mini-Choreografien, die sich an der Struktur des jeweiligen Orchesters orientieren. Manche Figuren passen perfekt zu einem Orchester – aber nicht zu einem anderen. Also brauchen wir ein differenziertes Repertoire.
Uns ist wichtig, dass man beim Zuschauen erkennt: Dieses Paar tanzt miteinander – nicht nur nebeneinander. Es gibt ein gemeinsames Zentrum, ein Bewusstsein füreinander. Das ist vielleicht schwer zu greifen, aber man spürt es, wenn es da ist.

K.W.:
Aber was wäre speziell für die Frauen hilfreich, Bruna, um besser musikalisch zu tanzen? Ich kenne aus YouTube leider nur die Tutorials von Noelia Hurtado, die erklärt, wie sie schritttechnisch die unterschiedlichen Charaktere der Orchester umsetzt, z.B. D’Arienzo sehr pointiert Di Sarli sehr akzentuiert, aber anders. Hast spezielle Tricks, die Dir dabei helfen?
Bruna Lavaroni:
Ich baue einmal einen Trick verraten bekommen von Olga Besio, die leider inzwischen verstorben ist. Sie sagte mir, es gäbe etwas, was man in Buenos Aires „tarariar“ nennen würde. So nennt man das leise Mitsummen – nur im Kopf, aber nicht laut – der tragenden Melodie oder gerade wesentlich dominanten Musik-Bögen. So wie Kinder mitsingen, ohne Lied-Text, sondern mit lalala usw.…
K.W.:
Ich habe eure Webseite gesehen – da reiht sich ja ein Preis an den nächsten! Eigentlich müsste euer Tanzstudio doch überrannt werden. Aber ganz ehrlich: Das Bild, das ich aktuell von der deutschen Tangoszene habe, sieht anders aus. Irgendwie scheint man sich hier mit Wettbewerben schwerzutun.
Die Teilnehmerzahlen bei der Deutschen oder auch der Europameisterschaft sind oft geradezu beschämend niedrig. Es gibt keine städtischen Meisterschaften, keine Bewegung von unten. Woran liegt das? Und ist das in Italien anders?
Franco Lus:
Ja, in Italien ist das tatsächlich anders. Dort gibt es seit Jahren eine unglaublich engagierte Organisatorin, Barbara Cicero, die das Wettbewerbswesen stark vorangebracht hat.
Wenn du in Italien Europameister wirst, bekommst du automatisch den Direktzugang zum Finale der Weltmeisterschaft in Buenos Aires – inklusive bezahlter Unterkunft für rund zwei Wochen. Allein das motiviert viele Paare.
Auch die asiatische Pazifikmeisterschaft funktioniert ähnlich: Der Sieger geht direkt ins WM-Finale. Bei anderen Qualifikationen ist es etwas anders – da geht es erstmal ins Halbfinale oder ins Viertelfinale der „Mundial“. Aber das sind klare Regeln, die jeder kennt. Wer mitmacht, weiß, worauf er sich einlässt.
Seit diesem Jahr bekommen die besten 20 Paare einer europäischen Vorrunde den direkten Zugang ins Viertelfinale. Wenn es mehr als 20 Paare sind, kann es auch direkt ins Halbfinale gehen. Es gibt also echte, konkrete Perspektiven – das motiviert die Leute.
Ein weiteres Merkmal: Die Jury wechselt ständig. In den Vorrunden arbeiten sie in Schichten – zum Beispiel sechs Stunden ein Team, danach sechs Stunden ein anderes. Im Halbfinale sitzt dann ein komplett anderes Juroren-Team, und fürs Finale noch einmal ein neues. So bleibt es vielfältig und ausgewogen.
Natürlich: Wenn jemand als „Quereinsteiger“ ins Halbfinale kommt, kann es schon mal passieren, dass er dort nicht gleich „warm“ ankommt – die Jury hat ihn vielleicht noch nicht gesehen, der Flair der WM fehlt noch. Das kann ein Nachteil sein. Aber auch das gehört zum Spiel.

Links: Barbara Cicero
Organisatorin der Wettbewerbe in Italien
K.W.:
Ich beobachte und habe das Gefühl, dass Tango in Deutschland stark konsumorientiert ist. Viele kommen zum Unterricht, lassen sich „bespielen“, ziehen danach die Schuhe aus – und sind im Kopf schon wieder ganz woanders.
Zu Hause wird kaum geübt, Musik wird selten gehört, und selbst in der Práctica tanzen viele einfach nur ihre gewohnten Muster. Ich sehe da oft kein echtes Interesse, besser zu werden – und das finde ich sehr traurig.
Ihr beide unterrichtet auf hohem Niveau und habt sicher auch Schüler mit ganz anderen Ansprüchen. Aber wie geht ihr mit denjenigen um, die diesen Ehrgeiz nicht mitbringen?
Franco Lus:
Das ist tatsächlich eine Herausforderung – und wir kennen das natürlich auch.
Wenn wir mit Schülern arbeiten, die vielleicht nicht diesen natürlichen Antrieb mitbringen, versuchen wir, sie stärker in unsere kleine Gemeinschaft einzubinden. Nicht mit Druck, sondern über Erlebnisse, über Nähe, über Verbindung.
Früher hatten wir regelmäßig eine eigene Milonga, einmal im Monat – da konnten wir so etwas gut aufbauen. Heute machen wir das nur noch ein paar Mal im Jahr, aber auch da versuchen wir: Räume zu schaffen, in denen unsere Schüler sich wohler fühlen, sich gegenseitig kennenlernen, gemeinsam etwas erleben.
Manchmal organisieren wir kleine Gruppenaktionen: „Kommt, wir gehen gemeinsam tanzen.“ Das klingt banal, aber für viele senkt das die Schwelle – sie trauen sich mehr, haben mehr Freude.
Ein besonders schönes Erlebnis war unsere Tango-Reise. Da ist wirklich eine kleine Gruppe zusammengewachsen – nicht nur tänzerisch, sondern auch menschlich. Einige sind inzwischen Freunde geworden, unternehmen auch privat Dinge miteinander.
Und das ist der Schlüssel, denke ich: Tango ist mehr als nur Schritte lernen. Wenn er einen Platz im Leben bekommt, dann wächst auch die Motivation, sich weiterzuentwickeln – von innen heraus.
K.W.:
…oh, da kann ich etwas lernen. Ich bin da nicht so sozial engagiert, sondern eher tanzpädagogisch unterwegs…
Franco Lus:
…uns ist wichtig, dass die Leute miteinander tanzen – nicht nur nebeneinander. Manche unserer Schüler haben zum Beispiel vorher noch nie eine Práctica besucht. Aber wenn wir sagen: „Komm, morgen Abend ist eine – wir gehen gemeinsam hin“, dann trauen sie sich oft eher.
Ein schönes Beispiel ist eine Gruppe, die wir in Italien kennengelernt haben. Da war jemand aus Belgien dabei, der uns alle sofort begeistert hat. Seitdem – das ist jetzt sechs oder acht Wochen her – kommt er regelmäßig wieder. Und immer, wenn er da ist, kommt die ganze Gruppe zusammen: aus Wuppertal, Mülheim, Köln – alle treffen sich bei uns.
Wir haben gemeinsam Weinproben gemacht, zusammen gegessen, regionale Küche entdeckt – und natürlich auch Milongas zusammen besucht. In dieser gemeinsamen Zeit sind sie enger zusammengewachsen. Danach sind viele von ihnen tatsächlich drangeblieben. Das war mehr als nur ein Kurs – es war ein Erlebnis.
Lernen funktioniert am besten, wenn die Eigenverantwortung da ist – wenn man bereit ist, sich selbst zu reflektieren. Aber: Man kann den Menschen helfen, dorthin zu kommen. Man muss es ihnen leicht machen, sich zu öffnen, sich zu zeigen.
Guter Unterricht bedeutet für mich auch, eine gewisse „Süße“ reinzubringen – also Wärme, Zuspruch, Motivation. Wer ständig kritisiert, demotiviert. Ich kenne noch die alte „Lehrergeneration“ – da war oft kein Raum für echtes Feedback, für Reflexion, für Entwicklung.
K.W.:
Viele klassische Tanzschulen arbeiten da aber ganz anders. Sie orientieren sich oft an einem kommerziellen Prinzip: Die Schüler möglichst lange halten – ohne sie zu fordern oder auf die freie Tanzfläche vorzubereiten. Das erinnert manchmal an die Gesundheitsindustrie, die ja auch nicht davon lebt, dass Menschen gesund werden, sondern dass sie Patienten bleiben.
Franco Lus:
Wir dagegen wollen die Leute fit machen für die Piste – denn dort entscheidet sich, ob jemand wirklich tanzt. Und da hilft keine Choreografie, keine Routine – sondern nur Gefühl, Präsenz, Musikalität.
Ich glaube, wenn wir unseren Unterricht liebevoll, offen und zugänglich gestalten, dann fühlen sich auch Anfänger bei uns gut aufgehoben. Sie erleben Freude – und durch die Freude entsteht Bewegung. Und durch Bewegung entsteht der Wunsch, mehr zu lernen.
Klaus Wendel:
Das hört sich sehr vielversprechend an und ist ja eigentlich auch der Sinn des Tangos: wir kommen zusammen, haben gute Tänze, haben Gespräche, und…
…ich danke Euch für dieses Gespräch.
Bruna & Franco:
Uns hat es auch Spaß gemacht und im Nachhinein möchten wir uns noch bei unseren Lehrern bedanken, die uns mit ihren wertvollen Hinweisen gefördert haben, insbesondere Graciela Gonzales.
Nachtrag:
Ich hätte gerne Bruna noch etwas gefragt, aber sie zog sich dann schon für die folgende Einzelstunde um, während Franco und ich noch über Tango-Technik fachsimpeln.
Ich werde im Juli bei den beiden Einzelstunden nehmen, weil es wirklich kompetente und nette Tänzer sind.
Und große Überraschung: Bruna & Franco werden ab September 2025 die Organisation des großen Tango-Festivals in Wuppertal übernehmen, Carsten Heveling steigt aus.
Hier nochmal ein paar Daten über die beiden:
2 thoughts on “Interview: Bruna Lavaroni & Franco Lus”
Schreibe einen Kommentar Antworten abbrechen
Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..
Glückwunsch zu dem sympathischen Interview, lieber Klaus Wendel!
Erfrischend ebenfalls, dass die beiden nicht die fast branchenübliche Aufzählung der grandiosen Maestros herunterbeten, bei denen sie mit dem Tango begannen (Pablo Veron darf in der Liste nie fehlen) sondern im Gegenteil ein Missgeschick an den Anfang ihrer Tango Karriere setzen:
》Gehen wir also kurz ein Jahr zurück. 2012 besuchten Bruna und Franco einen Tangotanzkurs und einen Tanzkurs für lateinamerikanische Tänze. Während des Kurses für lateinamerikanische Tänze geschah es, dass Franco Bruna bei einer Drehung mit dem Ellbogen an Nase und Auge traf. Ab diesem Zeitpunkt war die Entscheidung getroffen, dass man sich ab sofort voll und ganz auf den Tango Argentino konzentrierte.《
Herzliche Grüsse aus dem 1. Bezirk der Stadt (Wien) in der scheinbar der Schmäh auch vor der Zusammensetzung der Mundial-Jury nicht zum Erliegen kommt.
Tangovifzack
Lieber Tango-Vifzack,
Man sollte allerdings bei diesem lustigen Zitat nicht vergessen zu erwähnen, dass diese Textstelle nur in meinem Nachtrag auf verlinkten Webseite der beiden zu finden ist, sonst suchen alle danach. Aber Danke für Dein positives Feedback.
Mit freundlichen Grüßen
Klaus Wendel