
Gedanken über Tango Unterricht | 5. Teil
Die ‚base‘ oder ‚paso basico‘ im parallelen Schrittsystem
In diesem Kapitel möchte ich über die sogenannte „8er-base“ im parallelen Schrittsystem schreiben, weil ich von Kommentatoren darauf angesprochen wurde und ich dieses leidige Thema mal in Bezug zum Tango Unterricht beleuchten möchte.
Warum ein traditionelles Relikt behandeln, das in der heutigen Tango-Tanz-Szene kaum noch Bedeutung hat? Weil es immer noch Tangoschulen geben soll, die diesen Schrittablauf als Grundschritt, als Basis für Tango betrachten.
Ich beziehe mich bei diesem Thema auf Gespräche und Unterricht bei der Generation der 50-60er Jahre wie Edurado Arquimbau, Antonio Todaro und Pepito Avellaneda, die diesen als Grundstock der Tango Ausbildung betrachteten und diesen „paso basico“ auch tanzten.
Eduardo neigte jedoch eher zu „base cruzada“ im gekreuzten Schrittsystem zu tanzen – für uns damals neu-, aber er wusste sehr viel über geschichtliche Entwicklungen des Tangos und hat mal im Düsseldorfer Tanzhaus mit deiner Partnerin Gloria einen Workshop über historische Tango-Stile gegeben. Daraus entstand eigentlich mein Interesse an historischen Entwicklungen, die ich 1995 in nächtelangen Unterhaltungen mit einem älteren Tänzer der 40er Jahre, Oscar Molinari, auf der Avenida de Mayo – frierend – erweitern konnte. Es ist eigentlich auch interessant, wie dieses Einkreuzen der Folgenden (in der 8-er Base paralleles Schrittsystem Position 4 in 5) eigentlich entstanden ist. Alle Erzählungen erschienen zusammen sehr schlüssig und auch geschichtlich sehr einleuchtend. Aber Vorsicht: was ist am Tango schon logisch?
La cruz maldita – das verfluchte „(Ein)Kreuzen“ der Folgenden zum Beispiel nicht! Aber dazu später mehr.
Vorbehalt:
Da eigentlich über geschichtliche Entwicklungen nur unter Vorbehalt geschrieben werden sollte, weil es eigentlich ja keine Zeitzeugen mehr gibt, bitte ich, diesen Artikel genauso – mit Vorsicht – zu behandeln. Und wenn jemand noch etwas dazu beitragen kann oder möchte, aus anderen Quellen, kann er/sie gerne im Kommentarteil schreiben. Ich bitte sogar darum.
Wo fange ich an? Am besten bei ein paar Erinnerungen.
Mehrere Einzelstunden 1991 bei José Domingo Monteleone (Pepito Avellaneda genannt) und Partnerin Gilda de Souza (Suzuki genannt) im alten „El Corte“, also noch im Knollenpad, in Nijmegen, zusammen mit Eric Jœrissen, der mich dazu eingeladen hatte, Pepito & Suzuki mal ganz „für uns“ zu haben, ihn alles fragen zu können. Und wir hatten ihn für uns, einschließlich gemeinsamem Essen im Pfannkuchenhaus mit meiner kleinen Tochter auf dem Arm von Pepito. Ich bin Eric heute noch dankbar dafür.
Ich hatte zu dieser Zeit Fragen an ihn bezüglich einer Musikrichtung, die sich rhythmisch zwischen Tango und Milonga befand, „Tango Milongeado“ oder „Tango-Milonga“ genannt. Canaro-Firpo, Tuba Tango und Villasboas lassen grüßen. Das Ergebnis hat unglaublich Spaß gemacht. Eric und ich waren übrigens damals dann die ersten, die diesen Stil in Europa unterrichteten: seitlich, in Linie getanzte „molinete“ im Canyengue-Stil. Das ganze im contra-tiempo-Rhythmus. Dazu später mehr.
Jahre später: Workshop bei Gloria Julia Barraud & Eduardo Manuel Arquimbau, Gloria & Eduardo genannt – Thema: historische Tango-Stile: Tango primitivo, Tango-Milongeado, Tango Canyengue.
Gleiche Musikrichtung, also historischer Tango, den man auch canyengue tanzte. Seitlich in Tanzrichtung Ronda getanzt, Mann innen – Frau außen, also tanzt der Mann seitlich zur offenen Seite, die Frau auch zur selben Seite. Auch dazu später mehr.
La circulación, choreografisches Grundelement des giro – der Drehung.
Ob Tango ein eher kreisförmiger (zirkularer) oder geradliniger (linearer) Tanz ist, lässt sich nicht eindeutig sagen – wahrscheinlich ist er beides zugleich.
Ein Schrittmuster, das sowohl kreisförmig als auch linear getanzt werden kann, ist die sogenannte „circulación“, die vielen aus der Molinete bekannt ist. Dabei handelt es sich um eine Abfolge von Seit-, Vor-, Seit- und Rückschritten. Währenddessen bleiben die Schultern seitlich zum Partner ausgerichtet. Die Füße – oder je nach Schrittgröße auch das Becken – können dabei entweder leicht eingedreht oder überkreuz gesetzt werden. Linear wird dieser Ablauf, wenn der Führende gleich große Schritte macht wie die Folgende.
Diese Art von Schrittabfolge kennt man auch aus anderen Tänzen: von Bühnentänzern in Hollywood, aus dem griechischen Sirtaki („Zorbas-Tanz“) oder als Kreistanzschritt in verschiedenen Volkstänzen. Charakteristisch ist, dass sich die Schultern seitlich bewegen, während sie zur Kreismitte oder zum/r Tanzpartner:in ausgerichtet bleiben – so entsteht das kreisförmige Muster.
Wird dieser Ablauf in der Ronda nach links (aus Sicht des Führenden) getanzt – also der Folgende gegenüber, in Tanzrichtung – und macht der Führende deutlich kleinere Schritte als die Folgende, entsteht eine Drehung.
Historischer Tango wurde seitlich getanzt. Beide Partner schauten in Tanzrichtung zur offenen Paarseite hin.
Die Schritte wurden über Kreuz gesetzt – rückwärts und vorwärts-. Manchmal wurde das Becken dabei gedreht.
Die „base“ ist eigentlich eine linear getanzte „circulación“
Die Entwicklung: Am Anfang bewegten sich Paare seitlich, dann später diagonal, genaues ist nicht überliefert. Ab wann diese spezielle ‚base‘ auftauchte, ob es nur eine regionaler „Schritt-Code“war, ist auch nicht bekannt. In der Form, dass der Führende vorwärts, die Folgende rückwärts gehen – wie wir es auch heute tanzen – muss wohl entstanden sein, als der europäische geprägte Tango wieder nach Buenos Aires zurück kam und zwischenzeitlich „Llano y liso“ – ohne komplexe Beckenbewegungen der Frau – getanzt wurde, dann aber die „circulación“ doch wieder in den Schritt-Kanon einfloss, weil man auf Drehungen nicht verzichten wollte oder konnte.
Aber wie ist das sogenannte „Einkreuzen“ eigentlich entstanden? Die Antwort ist überraschend einfach, (aber kompliziert zu beschreiben):
Das Einkreuzen der Folgenden ergibt sich aus einer Rückwärtsbewegung. Es müsste in geschlossener Umarmung entstanden sein, weil die Partnerin dann das Becken zu einem Vorwärtskreuz nicht gut drehen kann. Denn ursprünglich war es ein vorwärts gerichteter Kreuzschritt, (siehe Diagramm rechts) der jedoch später rückwärts eindreht (siehe Diagramm links) getanzt wurde.
Wer versucht, die „base“ (also die Grundstruktur) einmal seitlich zu tanzen – aus Sicht des Führenden nach links – kann es besser nachvollziehen: Beginnt der Führende mit einem Rückwärtsschritt, dann zur Seite und führt dann nach dem Vorkreuz einen zweiten Seitwärtsschritt, würde die Folgende normalerweise an seiner offenen Seite vorwärts vorbeikreuzen. (Diagrammm rechts) Wenn sie dabei aber das Becken rückwärts ausrichtet und sich einkreuzt (Diagramm links), entsteht genau das, was wir heute als „Einkreuzen“ kennen.
Klingt kompliziert, aber es zu zeichnen ist noch schwieriger, dabei bin ich fast verzweifelt.
Dies nur mal als eigentliche Veranschaulichung, warum ich die schriftliche Beschreibung von Tangobewegungen vermeide. (Und Ihr wahrscheinlich in Zukunft vermeidet sie zu lesen.)
Das linke Diagramm erklärt den Schrittübergang von der 4. zur 5. Schrittposition der sogenannten „8er-base“ im parallelen Schrittsystem vorwärts für den Führenden und rückwärts für die Folgende.
Das rechte Diagramm erklärt die 5. Position aus einer Seitwärtsbewegung in Tanzrichtung, die historische Entwicklung.
Der gesamt Ablauf der ‚base‘ vor-bzw. rückwärts getanzt, hat 8 Positionen:
Führender, beginnt mit dem rechten Fuß:
- 1. rückwärts
- 2. seitwärts- (nach links)
- 3. Vorkreuz- (vorwärts)
- 4. offener Schritt- (vorwärts)
- 5. Schließschritt (Füße schließen – Gewichtswechsel)-
- 6. offener Schritt- (vorwärts)
- 7. seit (nach rechts)-
- 8. Schließ-Abschlussschritt.
Folgende, beginnt mit dem linken Fuß:
- 1. vorwärts
- 2. seitwärts- (nach rechts)
- 3. Rückkreuz- (vorwärts)
- 4. offener Schritt- (rückwärts)
- 5. Einkreuzen (linker Fuß kreuzt vor dem rechten) – Gewichtswechsel)-
- 6. offener Schritt- (rückwärts)
- 7. seit (nach links)-
- 8. Schließ-Abschlussschritt.
Der gesamt Ablauf der ‚base‘ seitwärts getanzt, hat 6 Positionen, von da an geht es direkt fortlaufend weiter mit Postion 3 bis 6, weil es bis dahin keinen Abschlussschritt gab :
Führender, beginnt mit dem rechten Fuß:
- 1. rückwärts
- 2. seitwärts- (nach links)
- 3. Vorkreuz- (vorwärts)
- 4. offener Schritt- (seitwärts nach links)
- Siehe Diagramm rechtes Bild
- 5. Rückwärtskreuz
- 6. offener Schritt- (seitwärts nach links)
- dann wieder bei 3. bis 6. Position usw.
Folgende, beginnt mit dem linken Fuß:
- 1. vorwärts
- 2. seitwärts- (nach links)
- 3. Rückkreuz- (rückwärts)
- 4. offener Schritt- (seitwärts nach rechts)
- Siehe Diagramm rechtes Bild
- 5. Vorkreuzen (linker Fuß kreuzt vor dem rechten) –
- 6. offener Schritt- (seitwärts nach rechts)
- dann wieder 3. bis 6. Position usw.
Das ganze ist natürlich sehr schematisch beschrieben und gezeichnet und bildet nur das wesentliche in seit- wie rück/vor Bewegungen nach.
Ich benutze die „base“ nicht mehr im Anfänger-Unterricht, weil…
…sich eine ganze Generation von Tanzschüler:innen in Europa daran abgearbeitet hat:
Der 8er ist bewegungshemmend, musikalisch überfrachtet und für Einsteiger:innen oft motorisch unlogisch.
Das Resultat: ein hölzerner, puppenartiger Tanzstil, oft ohne Knieeinsatz, ohne Musikalität, ohne echten Kontakt.
Außerdem wird sie Gottseidank nicht mehr getanzt. Zumindest nicht mehr im parallelen Schrittsystem.
Ich lasse jetzt mal Daniel Trenner zu Wort kommen, der in den 90er Jahren viele Milongueros in Buenos Aires über diese „base“ befragt hat und auch darüber, wie man dort eigentlich Tango lernt.
Daniel Trenner’s Aufsatz über die „base“ oder auch „salida“ genannt.
(Ich gebe hier nicht alles wieder, sondern nur das wesentliche)
[…] „In Argentinien lernt eine Person in dreifacher Weise Tango:
1. Überschwemmt von Bildern, Geschichten, Gedichten, Texten – von Verwandten, berühmten Persönlichkeiten. Selbst ein Argentinier, der Tango hasst, weiß schrecklich viel darüber.
2. Osmotisch bekommt es ein Grünschnabel mit, indem er stundenlang an einem Tisch neben dem Parkett sitzt und die Jüngeren und Älteren bei Spiel und Leidenschaft beobachtet.
3. Indem er zu einem Lehrer geht wegen dessen speziellen Vokabulars von Schritten und seiner stilistischen Präferenz, weil der Schüler aus einer Fülle von Lehrern auswählen kann. Daher brauchten Generationen von Unterrichtenden nicht mehr als die Schritte zu lehren, da so viel vom Charakter des Tango bereits anerzogen wurde.
Grundschritte gab es für die Milongueros nicht. Es wäre unkorrekt, die Salida als Grundschritt zu bezeichnen. Da ‚Salida‘ auf Spanisch wörtlich ‚Ausgang‘ bedeutet, scheint dieses Wort von den Milongueros eher als Bezeichnung für den Weg hinaus auf die Tanzfläche verwendet worden zu sein.
In neun Jahren der Beobachtung und des Gesprächs mit älteren Tänzern in Buenos Aires kann ich zwei feste Behauptungen über die Salida bei Milongueros aufstellen:
1. Keine zwei Tänzer haben mir ihre Salida in exakt der gleichen Weise beschrieben. Die Menge der Variationen bei einem solchen ‚Basis‘-Thema ist bemerkenswert. Als ich sie bat, ihre Salidas durch Mitzählen zu erklären, war dies eine der amüsantesten Umfragen, die ich je anstellte. Immer noch ergreife ich jede Gelegenheit, diese weiterzuführen.
2. Ich habe nie einen Milonguero gesehen, der einen Tanz mit einem Schritt in den Raum hinter ihm beginnt, den er nicht übersehen kann – außer in den seltenen Fällen, wenn alle anderen Wege versperrt sind und es die einzige Option ist (und das habe ich wirklich nur wenige Male gesehen). Mit Sicherheit führt der erste Schritt eines älteren argentinischen, sozialen Tänzers zur linken Seite (von ihm aus gesehen bzw. für die Frau nach rechts).
(Ich spreche von ‚sozialen Tänzern‘, weil es einige ältere Tänzer gibt, die nicht sozial, also in Milongas tanzen, aber unterrichten.)
Der Achter-Basisschritt des Tango im Parallelsystem, wie man ihn in der Welt außerhalb von Buenos Aires fast universell tanzt, wurde unter Milongueros nie als ‚Salida‘ gelehrt und wird von ihnen als ‚el basico academico‘ (‚akademische Basse‘) verspottet. […]
Andere Quellen:
Oscar Molinari – ein Zeitzeuge der Epoca del Oro
Oscar Molinari (*1912, † unbekannt) war ein alter, erfahrener Milonguero der 1940er Jahre, den ich im Jahr 1995 persönlich in der „Confitería Ideal“ kennenlernte, an einem Freitag Abend , als der Laden noch sehr leer war. Wir kamen ins Gespräch und ich entdeckte in ihm einen tango-geschichtlichen Schatz. In unseren weiteren Gesprächen nach noch einigen Milongas – wir beide frierend auf offener Strasse – vermittelte er mir faszinierende Einblicke in die Tanzregeln und sozialen Gepflogenheiten der Milongas während der Epoca del Oro des Tango.
So ganz nebenbei verbot er mir, in Deutschland „argentinisches Hasenfleisch“ zu kaufen, weil es in Wirklichkeit Nutria-Fleisch sei. (Sein Freund hatte wohl eine Nutria-Farm, wo dieser die abgezogenen Tiere in Plastiktüten mit der deutschen Aufschrift „Argentinisches Hasenfleisch“ verpackte.) Seitdem bin ich in Supermärkten sehr argwöhnisch bei diesem Fleischangebot. Aber ich sehe jetzt schon im Geiste die Überschrift in Riedls Blog aufblitzen: WENDEL, DIE BASSE UND DAS HASENFLEISCH! Nix da, Nutria!
Zurück zu Oscar: Er hatte alle bedeutenden Orchester dieser Zeit live erlebt – sowohl musikalisch als auch auf dem Tanzparkett. Dabei schilderte er mir die Gegensätze zwischen chaotischen Tanzflächen und streng geordneten Milongas, in denen sogenannte „Pistenwärter“ für Disziplin sorgten. Diese griffen etwa bei Streitigkeiten ein, wie sie etwa durch zerrissene, teure Seidenstrümpfe entstehen konnten, und schlichteten Konflikte unter den oft rivalisierenden jungen Männern aus den Barrios.
Gerade in den kleineren, gut organisierten Milongas achtete man auf rücksichtsvolles Tanzen – nicht nur aus Höflichkeit, sondern auch, um Auseinandersetzungen zu vermeiden. Das soziale Klima war stark geprägt von Kontrolle und Etikette: Die Milongueros saßen getrennt von den Frauen, die häufig unter strenger Aufsicht ihrer Mütter standen. Wer eine Frau zum Tanz auffordern wollte, musste sich dem Tisch nähern, ohne Anstoß zu erregen.
Der Einstieg in die Tanzfläche folgte dabei einem klaren Protokoll: Die aufgeforderte Frau stand mit dem Rücken zu den Tischen. Der Mann trat mit seiner Partnerin mit einem Seitwärtsschritt nach links in die Ronda ein. Nach dem abschließenden Schritt – dem sogenannten cierre del básico – vollzog er eine leichte Drehung nach rechts, sodass die Dame wieder mit dem Rücken zu den Tischen stand. Anschließend reihte man sich kontrolliert, mit dem rechten Fuß rückwärts, in die Linie der Tanzenden ein.
Der Rückwärtsschritt des Führenden wurde also nicht gegen die Tanzrichtung vollzogen, sondern in die Ronda hinein. Das macht Sinn und erklärt den verrufenen Rückwärtsschritt am Anfang einer „base“.
Warum wurde die „Base“ von Tangolehrern in Buenos Aires so gerne genutzt?
Die Antwort liegt in ihrer Struktur:
Die base beginnt mit einem klaren Einstieg – Rück-, Vor- und Seit-Schritt –, von dem aus sich nahezu beliebige Sequenzen anschließen lassen: Drehungen, Wechselschritte, Richtungswechsel und mehr.
Man konnte sie schließlich mit einem Einkreuzen abschließen – manchmal ergänzt durch eine definición, etwa ein letzter ocho adelante der Folgenden, bevor es zum Schlussschritt kam.
Für Schüler bedeutete das: Sie erhielten ein vollständiges Paket – mit erkennbarem Anfang und Ende –, das sich leicht mitnehmen, üben und in ihr eigenes Repertoire integrieren ließ. Eigentlich genial.
Damit erklärt sich auch ganz nebenbei der tiefere Sinn von choreografierten Sequenzen im Tango-Unterricht:
Es wurde ein Schrittpaket vermittelt – wie ein kleines System, das man zu Hause auspacken, durchdringen und schließlich anpassen konnte.
Vergleichbar mit dem Lego-Prinzip: Man kauft ein fertiges Set, baut es nach Anleitung zusammen, kann es aber auch umbauen und Neues daraus gestalten.
Dieses Konzept richtete sich ursprünglich an autodidaktisch Lernende, die damit unabhängig arbeiten konnten – nicht an „Konsumenten“, die immer wieder dasselbe fertige Haus zusammensetzten.
Das Grund, warum ich sie für die hiesigen Tango-Schüler nicht geeignet halte. Sie haben nicht das Umfeld, um autark Tango zu lernen. Junge Tanzschüler hingegen schon eher.
Summa Summarum:
Die „Base“ als Korrektiv – vielleicht ihr eigentlicher Sinn.
Ein neuer Blickwinkel eröffnet sich, wenn wir die base nicht nur als Schrittfolge betrachten, sondern als Prüfstein und Werkzeug zur Korrektur.
Richtig getanzt, lassen sich darin zentrale Elemente des Tangos erkennen:
eine aufrechte und balancierte Haltung (postura),
eine klare, flexible Umarmung,
die leicht versetzte Position im Vorwärtskreuz des Führenden (die berühmte Position 3),
zwei unterschiedliche Schrittlängen (ganze und halbe Schritte – jeweils im Timing des Grundschlags)-Position 3-4 ganz, 4-5 halb,
das System der circulación (das kontrollierte Mitfließen in der Ronda),
das einkreuzen – eine Bewegung, die jeder Tänzer beherrschen sollte, für Pausen und als Eingang für andere Figuren wie den ‚ocho‘,
sowie der abschließende Schließschritt (cierre básico).
Wenn man alle typischen Herausforderungen des Tangos in eine kompakte Struktur integrieren wollte, dann ist es genau diese Form – die base.
Sie vereint alle essenziellen Anforderungen an ein gutes Tangopaar – in Haltung, Führung, Koordination und Musikalität.
Gerade deshalb empfinden viele Anfänger sie als unbequem: Sie zwingt zur Auseinandersetzung mit fast allen grundlegenden Schwierigkeiten des Tango.
Für Autodidakten wirkt sie komplex – doch gerade in ihrer Komplexität liegt ihr Wert:
Mit ihr lassen sich problematische Positionen sichtbar machen und korrigieren. Die base dient somit nicht nur als Ausgangspunkt, sondern als Korrektiv.
„Warum ein Blogger aus Pörnbach diese „Basse“ – wie er sie nennt – so hasst, wird ja nun, nach diesem Resümee, auch plausibel.“
Fazit:
Der Text ist wieder etwas zu lang geworden.
Aber noch ganz kurz die Frage, ob das Einkreuzen der Frau geführt wird.
Einige sagen ja, einige, wie ich, sagen nein.
Weil das Einkreuzen eine völlig unlogische Bewegung ist und gelernt werden muss.
Man kann es also nur bei einer Partnerin führen, die diesen Schritt bereits kennt, sonst wohl ohne heftige Einwirkung kaum, denn wer stellt sich freiwillig selbst ein Bein? Aber, es soll Künstler geben, die das können.
Wenn Ihr dazu gehört, seid stolz drauf!
Man trifft sich bei den Kommentaren…
6. Teil – Nächstes Thema – Gedanken über Tango Unterricht:
Figuren, Sequenzen und/oder Improvisation?
5 thoughts on “Gedanken über Tango Unterricht | 5. Teil”
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[…] Gedanken über Tango Unterricht | 5. Teil […]
[…] Auf die ‚circulación‘ bin ich bereits in einem früheren Artikel im Zusammenhang mit der ‚base‘ und ihrer Entstehung eingegangen. [Link zum Artikel] […]
Dieser Text gefällt mir gut und erinnert mich daran, wie es bei mir mit dem Tango angefangen hat: Im WG-Zimmer von Freunden gezeigt bekommen. Beim zusätzlich behandelten Vorwärts-Ocho waren sie sich schon unsicher – „Ach, das wird schon irgendwie werden!“ Für die Tanzeinführung standen etwa 15 Minuten zur Verfügung, danach ging es direkt auf die Piste – meistens mit Live Musik vom Sexteto Andorinha. Die Freundin des Geigers langweilte sich während der Live-Sets und ließ mich das mit dem Ocho so lange ausprobieren, bis es einigermaßen klappte. Mehr war nicht notwendig, um damals (1995) beim Tanzen Spaß zu haben. Man bekam schon frühzeitig vermittelt, dass trotz Rückwärtsschritt man eigentlich nicht in Gegenrichtung tanzt, man improvisieren soll und der Grundschritt nur ein wie ich es dann genannt habe „pädagogisches Vehikel“ ist. Eine der ersten Übungen zum Improvisieren war, das Kreuz zu unterdrücken oder ein „Nicht-Kreuz“ zu führen, wenn man mal nur normal gehen wollte und dabei auch noch lernen, sich dem Tanzen der Frau anzupassen (wenn man das Kreuz führen wollte und sie es nicht ausführt oder umgekehrt).
[…] Trend Pörnbach und die Ehre des Kritikers Gedanken über Tango Unterricht | 5. Teil Gedanken über Tangounterricht | 4. Teil Gedanken über Tango Unterricht | 3. Teil […]
Sehr schöne Übersicht, habe was dazugelernt – das Bild mit den Legosteinen hat mir gut gefallen, und auch die Base als „Prüfprogramm“.