Diskussion
Das Spaß-Argument – die Kapitulation der Bequemen

Das Spaß-Argument – die Kapitulation der Bequemen

Spaß statt Weiterentwicklung – oder Spaß durch Weiterentwicklung?


Ein paar Gedanken über Bequemlichkeit, Können und die Angst vor Arbeit im Tango.

Nach meinem letzten Artikel über Authentizität und Imitation hat ein gewisser Blogger wieder einmal gezeigt, was passiert, wenn man über Tango redet, statt ihn zu verfeinern: Er erklärte, er habe vor allem „Spaß“. Das ist schön, nur war das nie das Thema. Denn wenn „Spaß“ plötzlich als Gegenargument zu Wissen, Technik oder Qualität herhalten muss, wird es absurd.

Immer wenn es um Können, Musikalität oder Bewegung geht, taucht zuverlässig dieser Satz auf: „Ich habe wenigstens Spaß.“ Was wie ein freundlicher Satz klingt, ist in Wahrheit eine Ausrede – die letzte Zuflucht der Bequemen. Wobei, wenn die Betonung auf „wenigstens“ fällt, folgende Frage impliziert wird: „Die Eifrigen etwa nicht?“
Das „Wenigstens-Spaß-Argument“ ist die Niederlage derer, die sich der Anstrengung – dem „mehr“ – verweigern. Eine Absage an Entwicklung, Verfeinerung, Neugier.

Wobei ich nicht meine, dass man in allem, was man tut, der Beste sein muss. Jedes Hobby darf man mit mehr oder weniger Einsatz betreiben. Aber jenen, die daraus eine Leidenschaft entwickeln, den Spaß abzuerkennen, ist schon starker Tobak.

Sich weiterzuentwickeln, etwas zu verfeinern, kostet Arbeit. Genau das ist aber das Grundprinzip menschlicher Entwicklung. Ohne diesen Drang, etwas besser zu machen, gäbe es keine Musik, kein Ballett, keine Architektur, keine Kultur. Alles, was Qualität hat, entsteht durch den Wunsch, etwas zu verbessern, nicht durch das Beharren auf dem Ist-Zustand.

Wer auf Kritik mit „Ich hab wenigstens Spaß“ antwortet, gesteht ganz offen ein: dass er beim Minimum – beim „Wenigsten“ –angekommen ist und es dabei belassen will. Das ist zwar ehrlich, aber kein Ausdruck von Wunsch nach Lebensqualität, sondern von Stillstand. Und wenn sich jemand dann auch noch über diejenigen lustig macht, die am Tango arbeiten, forschen oder unterrichten, und das als „muffige Rechthaberei“ abtut, dann ist das keine Ironie mehr, sondern blanke Geringschätzung gegenüber all denen, die sich bemühen, diesen Tanz ernsthaft zu verstehen. Und er sollte erst recht auch keine „Pseudo-Fachartikel“ schreiben, wie „Was Ihnen Ihr Tango-Lehrer nicht erzählt…“, weil nämlich genau das „muffige Rechthaberei“ – aber auf Laien-Niveau – ist!

Spaß als Ersatz für Können ist keine Haltung, sondern eine bequeme Kapitulation vor jeder Form von Qualität. Natürlich darf Tango Freude machen, sonst wäre er tot. Aber die Freude, von der hier die Rede sein sollte, entsteht nicht durch Zufall, sondern aus dem Moment, in dem Technik, Bewusstsein und Musik zusammenfallen. Erst wenn man versteht, wie eine Bewegung funktioniert, wann sie musikalisch Sinn ergibt und wie sie im Paar geführt und gespürt wird, entsteht wirklicher Spaß. Davor ist es bloß Bewegung mit Musik – nicht mehr und nicht weniger.

Ich habe in meinen Jahren als Tangolehrer mit Veranstaltungen oft gehadert, weil sie mich vom eigentlichen Kern ablenkten: vom Tanzen selbst. Der Tanz, die theoretische und praktische Beschäftigung mit ihm, das Austüfteln von didaktischen Strukturen – das alles hat mir den meisten Spaß bereitet. Spaß war mein Motor. Ich würde sogar sagen: An dem Tag, an dem ich das Gefühl hätte, nicht mehr weiterzukommen, würde ich mit dem Tango aufhören. Das heißt nicht, dass ich auf einer Milonga „arbeite“ – nein, ich ernte dort, was ich zuvor an Arbeit hineingesteckt habe. Und das dürfte auch der Antrieb der meisten Lernenden sein: Menschen, die Freude am Lernen haben, am Verfeinern, am Weiterkommen. Das ist auch der Antrieb eines Musikers, der im Konzert das Beste gibt, weil er zuvor jahrelang geübt, zugehört, diskutiert und verstanden hat. Genau das, was ein „Hauptsache-Spaß“-Apologet dann gern als „Regulation“, „Heilslehre“ oder „Rechthaberei“ abtut.

Ich habe wenigstens Spaß“ klingt harmlos, ist aber ein stilles Eingeständnis: Ich habe aufgegeben. Ich will nichts mehr lernen, nichts mehr verbessern, nichts mehr hinterfragen. Ich will einfach bleiben, wo ich bin – und das bitte ohne Kritik. Aber Tango lebt von genau dem Gegenteil: von Neugier, vom ständigen Überprüfen, Ausprobieren, Weiterentwickeln. Das war schon immer seine Stärke – von den frühen Milongueros bis zu den modernen Tänzern, die ihre Technik weitergedacht haben.

Wer sich über Können lustig macht, verhöhnt das, was Tango am Leben hält: das Bedürfnis, etwas besser zu machen, als es gestern war. Spaß ist kein Ersatz für Können. Und wer sich auf „Hauptsache, ich hab Spaß“ zurückzieht, verwechselt Zufriedenheit mit Entwicklung. Man muss nicht perfekt sein, aber man sollte wenigstens verstehen wollen, was man tut.

Der eigentliche Spaß im Tango entsteht nicht aus Beliebigkeit, sondern aus dem Moment, in dem Können, Bewusstsein und Musik eins werden. Alles andere ist Beschäftigungstherapie mit Musikbegleitung.

Zum Schluss noch etwas zu einer bemerkenswerten Verdrehung:

Dieser gewisse Blogger schrieb als Antwort auf meinen Artikel folgendes Zitat aus meinem Text ab – allerdings so verkürzt, dass der Sinn ins Gegenteil gekippt wurde:

Mein Text: „Darf man Tänzer/innen kritisieren, die das alles nicht erfüllen? Selbstverständlich. Jeder darf kritisieren. Aber es ist nicht höflich.
Sollte man ihnen absprechen, dass sie Tango tanzen? Nein!
Wenn sich aber jemand aus dem Fenster hängt und anderen erklärt, was Tangolehrer besser machen könnten, dann ja!“

Daraufhin kommentierte er:

„Also nochmal: Man sollte auch Kritikern nicht absprechen, dass sie Tango tanzen. Außer, wenn sie Tangolehrer kritisieren. Dann schon.“

Und schloss damit seine Replik:

„Diese interessante Logik las ich gerade in einem aktuellen Blogbeitrag. Und schon hatte ich wieder einmal etwas, das man im Tango strikt vermeiden sollte: Spaß.“

So etwas nennt man absurde Sophistik.
Oder, um es anders zu sagen: wie eine mathematische Textaufgabe –
„Kommen zwei dumme Fische in die Wüste. Der eine ist grün, der andere mag Pommes.
Wieviel wiegt der Bär, wenn es zwischen 14:00 und 16:37 Uhr regnet?“
Ergebnis:  „In der Wüste gibt’s nur kluge Bären.“
So in etwa funktioniert seine „Logik“.

Gemeint war etwas ganz anderes:
Tänzerinnen und Tänzer privat öffentlich bloßzustellen, ist unfein.
Aber wer sich selbst in die Öffentlichkeit stellt, andere Lehrer belehrt und ihnen vorschreibt, wie sie zu unterrichten hätten, der hebt sich damit selbst fachlich auf ein erhöhtes Podest – er muss dann an dem gemessen werden, was er wirklich kann und auch mit Kritik rechnen. 

Und noch etwas:
„Auch mich darf jeder kritisieren.“
bedeutet im allgemeinen: „Ich mache  Fehler“ und nicht, wie er mir unterstellen will:
„Ich
kann’s“! 

Nachtrag:

Eine Antwort auf den Versuch, das Nachdenken lächerlich zu machen

Es ist nun soweit gekommen, dass sich zwei Blogger über Spaß beim Tango streiten.
Als wenn es darüber etwas zu streiten gäbe.
Denn wer glaubt eigentlich diesen Schwachsinn, dass man Leute dazu zwingen oder bedrängen könnte, zu tanzen oder sich weiterzuentwickeln – besser zu tanzen?
Als gäbe es Menschen, die anderen ein schlechtes Gewissen machen, nur weil sie bleiben wollen, wie sie sind.

Ein gewisser Blogger, dessen Bedürfnis nach Selbstrechtfertigung offenbar keine Grenzen kennt, hat nun einen ganzen Artikel veröffentlicht, um zu erklären, warum er sich durch meine Kritik nicht angesprochen fühlen sollte.
Schon der Titel verrät das Programm: „Spaß beiseite?“ – gefolgt von der obligatorischen Anmoderation à la Harald Schmidt, als wäre Tango eine Late-Night-Nummer.

Das Problem ist nicht, dass jemand Spaß am Tanzen hat.
Niemand will Menschen, die einfach tanzen, wie sie tanzen, ein schlechtes Gewissen machen.
Aber es ist verkehrt, wenn genau diese Leute dann den Spieß umdrehen –
wenn plötzlich jene, die sich mit Technik, Musikalität oder Körperbewusstsein beschäftigen, als „verbissen“ oder „rechthaberisch“ abgestempelt werden.
Genau das ist passiert.

Ich spreche niemandem den Spaß ab –
ich widerspreche nur der Haltung, dass Nachdenken, Üben oder Weiterlernen automatisch Spaßverderberei seien.
Denn das ist die eigentliche Verdrehung:
Er behauptet, ich wolle den Leuten den Spaß nehmen – dabei spricht er ihn all denen ab,
die Freude an Entwicklung haben.

Ich habe Riedl in meinem Artikel „Das Spaß-Argument – die Kapitulation der Bequemen“ mit keinem Wort zitiert.
Ich habe kein einziges Zitat von ihm verwendet – weder „Ich habe wenigstens Spaß“ noch sonst eine Formulierung aus seiner Feder.
Was ich beschrieben habe, war ein Denkmuster. Und dieses Denkmuster, diese Haltung, taucht in fast jedem seiner Texte auf: das Beharren darauf, dass „Spaß“ das letzte und höchste Argument sei – vor Können, vor Wissen, vor Tiefe.

Ob er das Wort „wenigstens“ verwendet hat oder nicht, ist dabei völlig belanglos. Gemeint war eindeutig: Ich habe wenigstens Spaß – ihr mit eurer Technik und Analyse nicht.
Der Subtext zieht sich durch seine ganze Rhetorik. Schon in seinem Artikel „Tango mit Spaß“ hat er exakt dieses Gegensatzpaar aufgebaut: hier das „komische Getue“ um „Regularien“ und „Heilslehren“ – dort die „unverstellte Freude“ am Tanzen.

Er sagt selbst:

„Ich meine damit nicht nur das komische Getue, das man um die ganzen Regularien in diesem Tanz macht, die bigotten Verkündigungen von Heilslehren, die muffige Rechthaberei, die sich in Sätze wie diese ergießt…“

Und zitiert dann genau meinen Satz:

„Man kann also durchaus sagen: ‚So sollte man nicht tanzen’, wenn man das mit fachlichen Kriterien begründet – biomechanisch, rhythmisch, ästhetisch, didaktisch. Dann ist es keine Geschmacksfrage, sondern eine Frage von Funktionalität und Qualität. (…) Eigenwilligkeit ohne Kompetenz ist keine Kunst, sondern Zufall.“

Hier wird also kein inhaltlicher Widerspruch formuliert, sondern eine klare Botschaft ausgesendet:
Wer so spricht, der nimmt das alles zu ernst. Der hat keinen Spaß.

Das ist der Punkt.
Es geht gar nicht um die Sache – es geht um die Stimmung.
Und wenn Argumente fehlen, wird aus Fachlichkeit dann „Verbissenheit“, aus Analyse „Rechthaberei“, aus Nachdenken „Heilslehre“.

Dieses Schema zieht sich durch fast alles, was er schreibt:

    1. Erst wird die Diskussion ins Persönliche gezogen („vielleicht durch gewisse Beratung erstaunlich weiterentwickelt“ – danke für die pädagogische Note).

    2. Dann wird das eigentliche Thema in eine Karikatur verwandelt („Leistungsdruck“, „Herzinfarkt“, „Tangoausbildung“).

    3. Und schließlich folgt das Erlösungsversprechen: Spaß! Freude! Locker bleiben!

Das ist kein Diskurs. Das ist eine rhetorische Nebelmaschine.
Niemand hat bestritten, dass Tango Spaß machen soll.

Und ja – wer Tango wirklich liebt, darf lernen, üben, forschen, verfeinern.
Nicht aus Druck, sondern aus Neugier.
Spaß entsteht aus Können – nicht aus dessen Verweigerung.

Wer das als „paramilitärischen Ausdruck“ bezeichnet, hat schlicht vergessen, dass Entwicklung immer auch Arbeit bedeutet.
Und wer Lernen und Forschen mit „Verbissenheit“ verwechselt, sollte sich fragen, ob er je den Unterschied zwischen Leidenschaft und Pflicht begriffen hat.

Ich habe nichts gegen Spaß.
Aber ich halte etwas dagegen, wenn Spaß zur Ausrede wird.
Denn wer sich im Tango hinter diesem Wort verschanzt, hat ihn längst verloren –
den Spaß am echten Fortschritt.

Zum Abschluss möchte ich etwas bekennen:
Ich bin müde.
Müde dieser endlosen Sandkastenspielchen, die uns – den gewissen Blogger und mich – längst in eine Lächerlichkeit geführt haben, für die man uns inzwischen in einem Atemzug mit Statler und Waldorf nennt. Und ehrlich gesagt: Das haben wir uns selbst zuzuschreiben.

Diese Fehde, die einst selten aus inhaltlichen Differenzen entstand, ist irgendwann zu einem absurden Ritual geworden – ein Schlagabtausch ohne Sinn, ohne Gewinn, ohne jedes Maß. Vielleicht ist bei mir nun wirklich etwas passiert: die Erkenntnis, dass es Zeit ist, diese Reizbarkeit abzulegen.
Nicht, weil ich nachgebe, sondern weil mich das Thema einfach nicht mehr reizt.

Und dieser letzte Disput hat mir ein wenig die Augen geöffnet:
Es macht keinen Sinn, mit jemandem über solche Themen auf diesem Niveau zu diskutieren.
Ich habe mir eingebildet, dass man mittlerweile hier über Inhalte spricht – über Tanz, Ästhetik, Didaktik, Entwicklung.
Nein. Wir führen hier Scheindebatten, in denen es vor allem um die Irrungen eines frustrierten Mannes geht, der sein persönliches Trauma mit schlechtem Unterricht zu einem Politikum aufgeblasen hat.

Er ist an bestimmten Dingen – auch am Tango selbst – gescheitert, und weil er sie nicht versteht oder nie richtig gelernt hat, lehnt er sie ab.
Er degradiert, was er nicht kann, zu „Affentheater“ (Kein Zitat!); erklärt Lehrmethoden, Workshops und Weiterentwicklung zu kommerziellem Schwindel.
Und all jene, die daran arbeiten, zu einer von einer angeblichen Elite verführten Schafherde, die „Trends“ folgt, aber eigentlich gar nicht will.

Das ist keine Kritik. Das ist aus keine Satire.
Das ist Selbsttherapie mit publizistischer Begleitmusik.

PPS: 

Dialektik?

Nun ist er völlig durchgeknallt:
Jetzt erklärt dieser gewisse Blogger nach meinem Zugeständnis unsere jahrelange Schlammschlacht als Dialektik.
Ich nenne es „Sandkastenspielchen“ – er stellt uns auf eine Bühne mit großen Antagonisten wie Helmut Schmidt vs. Franz Josef Strauß, Hauser vs. Kienzle, Augstein vs. Blome.

Glaubt er das wirklich?
Wenn ja, bin ich wirklich enttäuscht.
Ich hätte ihm ein bisschen mehr zugetraut.

Ob man es in unserem Fall false balance nennen kann, müssen andere beurteilen. Wenn ich es sage, klingt es überheblich – aber ich denke schon.

Denn was er dabei nicht merkt:
Dialektik braucht fachliche Substanz, denn nur ein guter Schreibstil reicht dazu nicht aus.  Und die Substanz fehlt, wenn man aus jeder Kritik eine Bühnenszene macht.

Ich will gar kein Statler-und-Waldorf-Duo.
Ich will auch keine „rhetorischen Fetzen“.
Ich will einfach wieder über Tango reden.
Aber das scheint ihm zu wenig Show zu sein.

Na dann – guten Abend, Herr Riedl. 

Ob Sie jemals im Leben nochmal einen selbstkritischen Abgang als Blogger hinbekommen? Stattdessen wieder mal Selbstüberschätzung. Aber das ist ja ihr Markenzeichen. 

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