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Gedanken über Tango-Unterricht | 17.Teil

Gedanken über Tango-Unterricht | 17.Teil

Eine Privatstunde bei Bruna Lavaroni & Franco Lus

Dass ich Unterricht genommen habe, ist nun schon eine Weile her. Der letzte Unterricht war bei Gustavo Naveira & Gisell-Ann – Masterclass – aber das war aufgrund einiger Selbstüberschätzer und des entsprechenden Tanzlevels der Lerngruppe nicht so erfolgreich, obwohl ich dort viel lernte, weil ich Gustavo und Gisell-Ann immer persönlich mit Fragen bedrängte.

Für mich war die Frage interessant, wie es sich anfühlt – aus der Schülerperspektive –, wenn man mit Korrekturen konfrontiert wird, mit denen man gar nicht rechnete. Denn ich hatte bisher immer das Gefühl, dass ich meine Baustellen kenne. Zum größten Teil war es auch so, weil ich die ja bestätigt und korrigiert haben wollte. Nur habe ich nicht damit gerechnet, welch wohliges und entspanntes Tanzgefühl ich in geschlossener Umarmung erreichen könnte. Privatstunden mit Meistern sind einfach empfehlenswert und sehr hilfreich, wenn man offen ist für Fehlerkritik und sich als Tänzer reflektiert.

Mein Lernprinzip: „säen & ernten“

Mein eigenes Lernen, das ich nie unterbreche – auch auf der Tangopiste nicht –, funktioniert nach dem Prinzip „säen & ernten“. Ich mache mir grundlegende Basics zum Lernziel (keine Figuren, weil diese durch Basics sowieso besser funktionieren – denn alles an Komplexität steckt in den Grundlagen), arbeite daran etwa ein halbes bis ganzes Jahr, bis ich die Verbesserungen soweit in meinem Körpergedächtnis gefestigt habe, dass ich dann beim Tanzen eine Belohnung durch Gelingen erfahre – ich also die Früchte meiner Arbeit „ernte“.

Da ich die Lernprozesse durch mein Studium in den Bereichen Lernforschung sehr gut kenne, kann ich mit Rückschlägen und Konsolidierungsphasen gut umgehen und bin beim Arbeiten nicht mehr so verbissen und ehrgeizig, sondern eher gelassen geworden. Ich weiß genau, wann ich beim Üben aufhören muss, weil es nicht weiterbringen würde, und kann das Üben an einem anderen Tag fortsetzen. Diese Erfahrung des „Loslassens“ hat mich beim Lernen viel weitergebracht als das Beharren auf ein „Ich will das jetzt sofort erreichen“.

Wenn ich Unterricht nehme…

…nehme ich den Lernstoff der Lehrer erst einmal bedingungslos an. Es macht keinen Sinn, über eventuelle unterschiedliche Auffassungen zu diskutieren, bevor man überhaupt körperlich verstanden hat, was die Unterrichtenden eigentlich meinen. Also erspare ich uns Fachgespräche.

Ich stelle grundsätzlich nur Fragen. Fachsimpelei halte ich bei Einzelstunden für überflüssig – denn wenn ich schon ein Lehrerpaar aufsuche, erkläre ich damit bereits mein Vertrauen in deren Kompetenz. Jeder kann danach selbst unterscheiden, ob die unterschiedlichen Ansätze der Lehrer etwas Positives bewirken oder nicht.

Außerdem brauche ich ohnehin etwas Zeit, die neuen Bewegungen zu integrieren und zu vergleichen.

Lernen mit direktem Feedback

Wenn man eine Tanzpartnerin im Arm hat, die nicht nur sehr gut tanzt, sondern auch ein direktes Feedback geben kann, ist das Lernergebnis noch besser.
Dank Bruna Lavaroni, mit der ich während der gesamten Unterrichtsstunde tanzte, konnte ich viel besser spüren, was Franco & Bruna mir an Verbesserungen vorschlugen. Die Korrekturanweisungen, um die ich Franco als Repetitor bat, kamen regelmäßig – wenn zum Beispiel mein rechter Ellbogen immer wieder nach unten fiel.

Auch, wenn Franco – als Führender – mir in der Rolle des Folgenden ein direktes Gefühl für bestimmte Bewegungsabläufe in seiner Umarmung vermittelte, merkte ich, wie wichtig der direkte Kontakt beim Lernen ist. Tango ist nun mal ein Paartanz – und die wichtigsten Informationen beziehen sich auf paarbezogene Abläufe.

So etwas hilft ungemein, denn oft merkt man alte Gewohnheiten gar nicht mehr. Wer also glaubt, man könne schlechte Gewohnheiten allein, ohne Beobachter von außen, korrigieren, irrt gewaltig. Denn selbst Profitänzer:innen, die jeden Tag mehrere Stunden trainieren – zum Beispiel beim Ballett – sind auf Hilfe von außen angewiesen. Das Körpergefühl klafft oft meilenweit von der Realität auseinander.


Die Umarmung

Sie spielt eine immer wichtigere Rolle. Dass dahingehend so viel Spielraum nach oben möglich ist, hatte ich unterschätzt. Die Räume, die sich schritttechnisch dadurch auftun, sind enorm.

Allein der erste gemeinsame Schritt – durch das Öffnen des Schrittes der Folgenden in Tanzrichtung, bevor man selbst als Führender losgeht – ergibt ein wunderbares Tanzgefühl, nicht nur für die Folgende. Ich muss zugeben, dass ich zwar wusste: „Die Partnerin geht zuerst, dann folgt der Führende“, hatte es in dieser Dimension aber noch nicht praktiziert. Man lernt also nie aus.

Ich glaube, die wenigsten Tango-Tänzer wissen, wie viel Platz man durch gute Positionierung des Beckens und mit entspannten Armen haben kann. Wenn man das einmal gefühlt hat, möchte man gar nicht mehr getrennt tanzen. Es ist möglich, fast alle Bewegungen – einschließlich „sacadas“ – sehr nah zu tanzen, ohne die Umarmung großartig zu lösen.

Auch als Tango-Lehrer wieder etwas dazugelernt

Sich einmal wieder in der Tanzschüler-Rolle wiederzufinden, hat mir sehr gutgetan. Man reflektiert auch seine eigene Lehrer-Attitüde – zum Beispiel zu langes Reden, Redundanzen oder überfrachtende Erklärungen, die den Schüler mit Informationen überfluten und so nicht gerade zum Lernerfolg beitragen.

Franco & Bruna waren sehr klar und präzise. Bruna erinnerte mich daran, mir mehr Zeit für Verschnaufpausen zu nehmen – auch das ein wichtiger Beitrag zur Konsolidierung des Lernstoffs.

Überhaupt war die ganze Atmosphäre, besonders durch Brunas Humor und ihren Charme, sehr angenehm; nie hatte man das Gefühl, es werde zu viel erwartet. Der Erfolg liegt allein bei einem selbst – als Schüler.

Fazit

Es hat mir einmal mehr gezeigt, wie wertvoll es ist, auch als Lehrer in regelmäßigen Abständen selbst Unterricht zu nehmen – oder besser gesagt: sich bewusst in die Rolle des Lernenden zu begeben. Man spürt nicht nur, wie es sich anfühlt, korrigiert zu werden, sondern reflektiert automatisch auch die eigene Art zu unterrichten.

Eine Art Supervision, die nicht kontrolliert, sondern inspiriert.

Deshalb werde ich weiterhin Privatstunde nehmen. 

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