Tango, Coaching und die große Verführung – Was der Tanz (nicht) kann

Manchmal stolpert man in einem fremden Blog über einen Satz – und bleibt daran hängen. So ging es mir bei einem Artikel von Gerhard Riedl über Coaching. Sein Artikel ist richtig gut und er konzentriert sich offenbar jetzt wirklich auf gute Themen. Seine Satire trifft keine Personen und spitz, wie immer.
https://milongafuehrer.blogspot.com/2025/05/die-ocho-therapeuten.html

Sein Artikel warf viele Fragen auf, aber auch Bilder. Vor allem eines: Menschen im Tanz. Im Tango. Im Coaching. Und ich möchte nur etwas ergänzendes darüber schreiben. Als Versuch, dieses Thema sachlich  zu beleuchten. Aber er ist kein ausführlicher Beitrag, weil ich ja Erfahrungsberichte von Teilnehmern und Coaches ausgespart habe. Es ist nur mein kurzer Blick darauf und laufe Gefahr, mir vorwerfen zu lassen, dass mich nicht damit auskenne. Das nehme ich in Kauf.

Coaching mittels Tango, ein haltbares Versprechen?

Die Branche boomt: Über 14.000 zertifizierte Coaches tummeln sich inzwischen allein im deutschsprachigen Raum. Und mit der Nachfrage wachsen auch die Methoden – oder besser: die Versuche, sich auf dem Beratungsmarkt durch originelle Konzepte zu profilieren. Der argentinische Tango hat es dabei offensichtlich besonders weit gebracht. Er taucht mittlerweile nicht nur in Paarberatungen auf, sondern auch im Coaching für Führungskräfte, im Managementtraining und sogar in Persönlichkeitsseminaren.

Die Werbetexte klingen entsprechend ambitioniert: Der Tango als „Kommunikations- und Beziehungsideal“, als körpergewordene Gleichzeitigkeit von Autonomie und Bezogenheit, von Klarheit, Achtsamkeit und Konsequenz. Oder als Symbol für „Führen & Folgen“, für Beziehungsfähigkeit, Körpersprache, ja sogar für Ordnung und Lebensrhythmus. Manche lassen aus dem Wort TANGO gleich ein ganzes Coachingmodell entstehen: Transaktion, Aufrichtigkeit, Neuentwicklung, Gestaltungsfreiheit, Ordnung. Fast möchte man sagen: Wenn das mal keine kreative Inhaltserschließung ist.

Tango als Medium, „aber“!

Ganz ehrlich: Ich finde vieles davon durchaus nachvollziehbar. Tango ist komplex, sinnlich, hochgradig kommunikativ – und verlangt ein intensives Zusammenspiel zweier Menschen. Dass sich daraus Schlüsse für die Alltagskommunikation, den Umgang mit Nähe und Distanz oder auch mit Führung ableiten lassen, ist plausibel.

Aber – und dieses „aber“ ist entscheidend – zwischen einem symbolisch aufgeladenen Tanz und einem fundierten Coachingprozess liegen Welten. Nur weil ein Tangolehrer viele Paare tanzen sieht, heißt das noch lange nicht, dass er Beziehungsdynamiken analysieren oder Coachingprozesse kompetent begleiten kann. Und nur weil jemand die Führung im Tanz vermitteln kann, bedeutet das nicht, dass er sich mit den feingliedrigen Strukturen eines Konzernmanagements oder mit den Spannungen eines C-Level-Coachings auskennt.

Es ist eine Sache, das Prinzip von Führen & Folgen tanzend zu erleben – es ist eine ganz andere, es auf systemischer, psychologischer oder organisatorischer Ebene zu durchdringen. Hier wird mitunter eine Tiefe suggeriert, die weder durch die Methode gedeckt ist noch durch die Ausbildung vieler Anbieter. Ein bisschen Bewegung, ein bisschen Nähe, ein bisschen Körpergefühl – und plötzlich steht da ein Coaching-Angebot, das für mehrere tausend Euro verkauft wird.

Tango, um Prozesse anzustoßen, aber mehr oft nicht.

Natürlich spricht man mit solchen Formaten eine Zielgruppe an, die sich gern auf Neues einlässt, die kreativ denkt, oft akademisch geprägt ist – und sich solche Seminare schlicht leisten kann. Dass da auch Anbieter auf den Plan treten, die eher das Geschäftsmodell als die methodische Substanz im Blick haben, liegt auf der Hand.

Versteht mich nicht falsch: Ich halte es für absolut legitim, kreative Zugänge im Coaching zu suchen. Und Tango hat zweifellos Potenzial, Prozesse anzustoßen, Perspektiven zu verschieben und das eigene Verhalten auf eine ungewohnte, unmittelbare Weise zu erleben. Aber das Ganze sollte auch ehrlich eingeordnet werden – als Impuls, nicht als Lösung. Als Erfahrungsfeld, nicht als Therapie. Als Einstieg, nicht als Ersatz für fundierte Reflexion.

Fazit:

Wer tanzt, kann viel über sich und andere lernen. Aber nicht alles, was sich geschmeidig bewegt, ist gleich Coaching. Manchmal ist es auch einfach nur – ein schöner Tanz.

Und vielleicht ist das sogar der wertvollste Aspekt daran: die Erkenntnis, dass nicht jede Bewegung analysiert werden muss, nicht jede Begegnung ein Prozess ist. Sondern dass manches einfach wirkt – weil es lebt. Und weil wir tanzen.

2 thoughts on “Tango, Coaching und die große Verführung – Was der Tanz (nicht) kann

    • Author gravatar

      Die Kunst beim Einsatz von Bildern und Modellen ist die richtige Dosierung – hier kann, das sehe ich ähnlich wie Christian, der Tango Anfangsenergie liefern, aber das reicht nicht für die gesamte Reise. Ein Beispiel, wo ich selbst (nicht als Coach, sondern in einem Projektkontext) mal mit einem Tangobild gearbeitet habe: wir hatten als Technologieunternehmen eine Kooperation mit einer Unternehmensberatung. Im ersten Arbeitsmeeting mit dem Kunden versuchte der Partnerfirma-Consultant ständig, sich selbst in den Vordergrund zu spielen. Ich wies ihn darauf hin, daß der ungeschriebene „Vertrag“ einer solchen Partnerschaft ähnlich wie beim Tanz sei, sich gegenseitig gut aussehen zu lassen und so auch mehr zu erreichen. Kunden haben für diese Dinge meist ein gutes Gespür, und eine solche Einstellung ist für alle Seiten ein Gewinn.

    • Author gravatar

      Ich stimme der Einschätzung voll zu: Tango kann im Coaching als Erfahrungsraum wertvolle Impulse geben – insbesondere für Themen wie Präsenz, Beziehungsgestaltung oder Führung. Doch zwischen tänzerischer Symbolik und fundierter Prozessbegleitung liegt ein deutlicher Unterschied.

      Coaching erfordert professionelle Kompetenz, methodische Klarheit und vor allem eine saubere Abgrenzung zwischen Erfahrung und Intervention. Als Einstieg oder Impuls ist Tango durchaus bereichernd – als vollständige Methode greift er jedoch oft zu kurz.

      Danke für die klare und reflektierte Einordnung.

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